Frauenhandel: Der Prostitutionsdiskurs

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© ProLitteris, Rahel Zschokke

3 Der Prostitutionsdiskurs

3.1 Historische Aspekte der sozialen Kategorie Frau

3.1.1. Männerphantasien

Die klassische Darstellung des Gesetzesbegriffs geht auf Plato zurück, der Gesetz abhängig vom Prinzip des Guten und der Unterwerfung des Gerechten unter jenes versteht. Anhand der Analyse von literarischen Texten zweier Autoren macht Gilles Deleuze (75) – etwas ungewöhnlich vielleicht – den modernen Begriff des Gesetzes verständlich, den Kant in der „Kritik der praktischen Vernunft“ (76) als unabhängig von jeglichem Inhalt oder Objekt, Geltungsbereich und -umständen wesentlich als ein sich Entziehendes auffasst.

In seiner Studie über den Masochismus legt Deleuze Argumente vor, die die von Krafft-Ebing in der „Psychopathia sexualis“ (1924) formulierte und von Freud in ,,Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Triebe und Triebschicksal“ und „Das Unbehagen in der Kultur“ postulierte Einheit bzw. Umkehrbarkeit von Sadismus und Masochismus in Frage stellt. Seine Analyse geht von der unterschiedlichen Sprache und Form der Texte der beiden Literaten aus und stellt gänzlich unvereinbare Motivationen und Kontexte zwischen den beiden fest. Während die Französische Revolution von 1789 den libertären Geist des Marquis de Sade prägte, war der aus dem historischen, österreichisch-ungarischen Galizien stammende Ritter, Gutsbesitzer und Geschichtsprofessor der deutschen Romantik und den Revolutionen von 1848 verpflichtet und träumte von einem Panslawismus unter einer strengen, aber gerechten russischen Zarin, wie sie die damalige Geschichte in der Person von Katharina der Großen präsentierte.

Während das politische Denken de Sades um die institutionelle Gründung der Republik kreist und der Idee des Vertrags, und den sich daraus generierenden Gesetzen zutiefst abhold ist und diese verwirft, ist das wesentliche Element in den Texten Masochs gerade der Vertrag zwischen dem weiblichen „Henker“ und dem männlichen sich Unterwerfenden. (77)

Die juristische Unterscheidung zwischen Vertrag und Institution erkennt den freien Willen der Vertragsschließenden als Voraussetzung für den gültigen Vertrag, welcher ein zwischen ihnen bestehendes Verhältnis von Rechten und Pflichten definiert; dabei erstreckt sich der Vertrag nicht auf Dritte und seine zeitliche Gültigkeit ist beschränkt. Die Institution dagegen ist eher als Statut von langer Dauer definiert, welches unfreiwillig, unaufkündbar und konstitutiv für eine Macht oder Gewalt ist und deren Reichweite sich ebenso auf Dritte erstreckt.

In Bezug auf das Gesetz ist der Vertrag in der Lage, ein Gesetz zu stiften, während die Institution Gesetze unnötig macht und anstelle eines Systems von Rechten und Pflichten ein dynamisches Muster für Aktion, Gewalt und Macht in Kraft setzt. Während also die Gesetze die Handlungen binden, fixieren und moralisieren, bieten reine Institutionen Muster für freie, anarchische Handlungen in ständiger Bewegung, in dauerndem Aufruhr – jenseits von Moralität.

Zurück bei Sade und Sacher-Masoch fallen weitere konstituierende Elemente auf: Die Texte beider Autoren spielen im Bereich männlicher Phantasmen oder „Männerphantasien“ über die Frau. Genauer: über die Mutter. Indem sich die Sade’schen Helden mit der strafenden Vater-Institution der Negation identifizieren, bringen sie mithilfe strenger, gewissenhafter Beweisführung die Mutter (in der Frau) zugunsten der Tochter in der symbolischen Ordnung zum Verschwinden, sodass sie an die Stelle des Vaters treten können.

Referenz bei Sacher-Masoch hingegen sind die „Urbilder der Frau“, ein Mythos, der vom zeitgenössischen Ethnologen und hegelianischen Rechtswissenschafter Bachofen als „Stadien“ beschrieben ist. Das erste ist das hetärische, aphroditische: entstanden im Chaos der fetten Sümpfe, besteht es aus den zahlreichen Verhältnissen, die die Frau nach Lust und Laune mit den Männern eingeht. Das weibliche Prinzip ist hier das herrschende, weil der Vater „Niemand“ ist. Dieses Bild überlebte in der Institution der heiligen Prostitution. Die zweite, demetrische, erscheint mit den Amazonengesellschaften. Die Sümpfe werden trockengelegt und es setzt eine strenge mutterrechtliche, agrarische Ordnung ein. Unter der Herrschaft der Frau gewinnen Vater und Gatte einen gewissen Status. Zuletzt bildet sich das patriarchale oder apollinische System aus, wobei das Matriarchat degeneriert. Diese drei Stadien bilden die theoretische und ideologische Struktur der drei Frauentypen Masochs, in die sie sich einordnen lassen: Die erste und dritte als Grenzen der Frauenphantasien Masochs und dazwischen die kalte und strenge Mütterlichkeit, die, über das Christentum auf dem Weg nach Norden empfindsam geworden, sich mit der Jagdbeute aus wilderen Zeiten, dem Pelz, schützen muss. In der Lesart von Deleuze werden nun dieser kalten und strengen, aber „guten“ Mutter, die Rechte des aus der symbolischen Ordnung verdrängten Vaters übertragen, wobei die Gefahr seiner Rückkehr durch zeitlich bindende Verträge abgewehrt wird.

Bemerkenswerterweise ist in den Texten beider Autoren die Prostitution angesprochen. Bei de Sade wird der Traum von der universellen Prostitution (der Frau) auf eine objektive Institution projiziert, durch die die Vernichtung der Mütter und die Selektion der Töchter bewerkstelligt wird, indem die Mutter zur „gueuse“ und die Tochter zur Komplizin gemacht wird. Masoch hingegen gründet die ideale Prostitution auf eine private Abmachung zwischen der Frau als der guten Mutter und dem masochistischen Helden, der sie dazu überredet hat, sich anderen hinzugeben.

Die Würdigung des Erkenntnisgewinns, der aus der Lesart Deleuze’s aus Texten von de Sade und von Sacher-Masoch über die Entstehung des Rechts erwächst, wäre eine gesonderte Untersuchung wert, oder wie Deleuze selbst formuliert: ,,Der wirklichen Stellung dieser Rechtsprobleme wird man am Ende vielleicht nur in den pervertierten Formen ansichtig, die Sade und Masoch ihnen zu geben verstanden: verformt zu phantasmatischen Elementen in einer Parodie der Geschichtsphilosophie“ (Deleuze: 231). Und, wie hinzuzufügen wäre, in einer Parodie der Geschichte „der Frau“, mit deren Platzzuweisung ins Reich des Privaten das patriarchal angelegte aufstrebende Bürgertum bis heute seine liebe Mühe hat und die definitorische Macht von Männerphantasien nicht über die Vorstellung „der Frau“ als einer „dem Mann“ zu Diensten stehenden Prostituierten hinauskommt.

Mit Referenz zum psychoanalytisch-philosophischen Text von Gilles Deleuze rücken drei Aspekte von Prostitution ins Blickfeld: Einmal die historisch-gesellschaftliche Bedingtheit von Prostitution, die sich im 19. Jahrhundert als Produkt von männerphantastischer Definitionsmacht zeigt; dann der Aspekt der bürgerlichen Ehefrauen, die sich als Komplizinnen der Macht (ihrer Männer) gegenüber den ohnmächtigen (Arbeiter-)Frauen abgrenzen, und weiter die Emanzipation von bürgerlichen Frauen aus der Ernährer-Ehe-Institution in den freiwilligen (Berufs-)Vertrag bzw. die illusionäre Emanzipation „ohnmächtiger“ Frauen in die Prostitution und deren Pervertierung durch die Anerkennung organisierter, kommerzieller Ausbeutung als Beruf.

3.1.2 Die Stände

Die politischen Verhältnisse im Europa der Stände machten im Laufe der Zeit diejenigen Adelsfamilien mächtig, die über die größten Ländereien verfügten. Angefangen von den Kreuzzügen bis hin zu den Kolonialisierungskriegen begleiteten höfische Intrigen um Erbfolgen und -ansprüche solche Landeroberungsfeldzüge. Während auf der einen Seite Nachkommen zur Sicherung und zum Ausbau der Herrschaft nötig waren, wurde das Land, das zu verteilen war, immer knapper (Elias, 1976a). Einer der Ansatzpunkte zur Kontrolle des Problems war die Beschränkung der Erbfolge auf legitime Nachfolger, d.h. die Ausschließlichkeit der Anerkennung von Kindern der Ehefrau. Da Gentests zur Feststellung der Vaterschaft noch nicht zur Verfügung standen, die Mutterschaft hingegen prinzipiell evident war, blieb einzig sicherzustellen, dass sexuelle Kontakte mit Ehefrauen ausschließlich den Ehemännern vorbehalten war. Diese ökonomisch-politischen Erfordernisse zur Sicherung der ständischen Herrschaft setzte sich mithilfe mächtiger, moralisch-rechtsverbindlicher kultureller Codes wie Jungfräulichkeit vor der Ehe, Keuschheit der Ehefrau, Treue der Ehefrau auch bei kriegs- und geschäftsbedingter Abwesenheit des Gatten durch. Eine ökonomische Notwendigkeit, die männlichen Vertreter des herrschenden Standes in moralisch gleichstellende kulturelle Codes einzubinden, bestand hingegen nicht und setzte sich auch nicht durch. Ganz im Gegenteil: Es bildete sich eine zunächst nicht hinterfragte Doppelmoral aus, die Männern der Oberschicht erlaubte, was ihren Frauen verboten war.

Die gewaltigen ökonomisch-politischen Umwälzungen setzten der ständischen Gesellschaft ein Ende, und eine neue Sozialstruktur entwickelte sich entsprechend den neuen ökonomischen Erfordernissen. Über das Konzept des Kapitals als Privateigentum übernahm das Bürgertum die Kontrolle von Kapital und Arbeit, die sich neu als Produktivfaktoren durchgesetzt hatten, und entmachtete Adel und Klerus. Weitere Kernaufgaben des Kollektivs wie innere und äußere Sicherheit, die Gerichtsbarkeit, die Erziehung der Jugend etc. konnten mithilfe von Steuern und Kapitalabgaben neu organisiert werden und fanden ihre Form ebenfalls unter der Hegemonie des Bürgertums im Laufe des 19. Jahrhunderts im säkularisierten Nationalstaat. Mit der egalité hatte die Französische Revolution eine Verheißung in die Welt gesetzt, die ihr die Qualität eines Menschenrechts und Verfassungsrang verlieh, an deren Einlösung sich der Verfassungsstaat und die bürgerliche Gesellschaft immer wieder messen lassen mussten und müssen. Bemerkenswert dabei ist, dass die Gleichheitsverheißung für die Rechtsstellung der Frau in Familie, Beruf und Politik nicht so sehr ein Thema des 19. als vielmehr des 20. Jahrhunderts war und bis heute ist. (78) Die vorrevolutionäre alteuropäische Verfassung war weit davon entfernt, Gleichheit der Menschen als Ordnungsprinzip in Anspruch zu nehmen. Die Legitimität von Ständen wurde nicht bestritten. (79) Nach Bourdieu orientieren sich untere Schichten bezüglich der Symbolstruktur an den oberen Schichten.(80) Sie übernahmen die kulturellen Codes der ehemaligen Oberschicht und passten sie an die neuen Erfordernisse an.

3.1.3 Das große Paar setzt sich durch

Ulrike Prokop (1991) hat den Begriff des großen Paares geprägt, um die spezifisch moderne Geschlechterkonstellation des bürgerlichen Paares zu charakterisieren. (81) Weiblichkeit ist hier ganz von den Interessen des Mannes und der Kleinfamilie her bestimmt, und sie ist für Frauen mit dem Verlust von Welt verbunden. Die Frau tritt ihre Handlungsfähigkeit in der Welt gleichsam an den Mann ab, und hat in der Illu­ sion des großen Paares an seiner Größe teil.

Das kulturelle Muster des großen Paares kann als männlich bürgerliche Antwort auf eine gesellschaftliche Umbruchsituation verstanden werden, die mit der Aufklärung entstand und in der französischen Revolution ihren Höhepunkt erreichte. Zum einen hatte die Freisetzung der Menschen von der kirchlichen und ständischen Ordnung, also die „Freiheit“, auch ihre bedrohlichen Seiten für das Individuum. Demgegenüber wurde das Paar zum Symbol der frei gewählten Bindung und zur Grundstruktur der neuen sozialen Ordnung. Zum anderen steht die abstrakte Vorstellung der Gleichheit im Widerspruch zu den konkreten sozialen Differenzen und Machtansprüchen. Im Muster des großen Paares aber wird die mögliche Gleichheit der Frau abgewehrt und eine spezifisch moderne Differenz der Geschlechter konstruiert, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts naturwissenschaftlich codiert wird (Honegger 1991). Dieses Deutungsmuster wird im weiteren Verlauf des Jahrhunderts im Eherecht institutionalisiert und damit einer durchaus kontroversen Auseinandersetzung bis auf weiteres entzogen.

3.1.4 Allein lebende Frauen

Gilbert (2001), die eine Genealogie weiblicher Lebensentwürfe jenseits des großen Paares freilegt und zum Schluss kommt, dass weibliche Individuation seit den 70er Jahren tendenziell alle Frauen erfasst, erscheint die Perspektive der Pluralisierung von Lebensformen weniger als Konsequenz einer Marktlogik, die das Leben der Einzelnen ergreift und in die Einsamkeit führt, sondern als neue Welle der Transformation der Geschlechterverhältnisse. Dabei werden Widerspruchskonstellationen aktiviert, die für das moderne Geschlechterverhältnis konstitutiv sind und für männliche wie für weibliche Lebensgestaltung bis heute wirksam sind.

Das Geschlechterverhältnis erscheint als Strukturkategorie und weist auf die gängige Defizitperspektive hin, unter der soziologische Forschung Lebensentwürfe lediger Frauen üblicherweise betrachtet. Die Tradition alternativer weiblicher Lebensentwürfe wird verdrängt. Um diese gängigen Defizitperspektiven zu überwinden und das Alleinleben von Frauen in seinen ambivalenten und widerständigen Dimensionen begreifen zu können, legt sie in ihrer Untersuchung die Konstruktion und Transformation der Geschlechterverhältnisse in der Moderne als zentrale Analyseachse zu Grunde. Ein kritisch-historischer Zugang erlaubt es, jene für die bürgerliche Moderne konstitutiven Widerspruchskonstellationen zu rekonstruieren, die den sozialen Ort und die Erfahrung lediger Frauen bestimmt haben, und gleichzeitig die Verschiebungen aufzuzeigen, die sie im Lauf der letzten 200 Jahre erfuhren. Ausgehend von den Erfahrungen und der Position lediger Frauen der Mittel- und Oberschicht im westeuropäischen Kontext erfolgt die Rekonstruktion vom gesellschaftlichen Rand her.

Bei Gilbert sind ledig bleibende Frauen seit der Aufklärung Gegenstand von Karikaturen, die über die Jahrhunderte variieren, in ihrer negativen Konnotation aber beständig sind. Sind es für die Ober- und Mittelschicht die Molièrschen Figuren der précieuses ridicules oder der femmes savantes, deren Ansprüche an einen Mann so groß sind, dass keiner genügen kann, oder bei Rousseau der gebildete Schöngeist, der sich männliche Qualitäten anmaßt und sich entsprechend lächerlich macht, sind es bei den Medizinern des 19. Jahrhunderts die „alten Jungfern“, denen unersättlich und alles verschlingend alle möglichen Krankheiten drohen, wenn sie der Gattungsaufgabe nicht nachkommen. Balzac betrachtete ihre Existenz als non-sens, ziellos und unerklärlich. Mit Freud und dem Aufstieg der Psychoanalyse im 20. Jahrhundert zog schließlich die „sexuell Frustrierte“ in das Panoptikum stereotyper Figuren der ledigen Frau ein.

Während sich diese Bilder auf ledige Frauen der Mittel- und Oberschicht beziehen, verkörperten Prostituierte durch Zuschreibung moralischer Defizite die Abgrenzung von hegemonialen Gesellschaftsschichten. In der Prostitution zeigte sich dies als Herablassung, die den sexuellen Zugriff auf Putzfrauen, Hausangestellte, Kindermädchen oder ledige Arbeiterinnen als Selbstverständlichkeit rechtfertigte.

Wie Gilbert weiter zeigt, gilt die allein stehende Frau erst mit dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft als defizitär. Die Vorstellung der romantischen Liebe und das Modell des bürgerlichen Paares sind Produkte der Aufklärung. Im Lauf des 18. Jahrhunderts bildete sich das Paar mit Kind als zentrale soziale Einheit heraus; als Kehrseite dieses Prozesses wurde die ledige Frau marginalisiert. Sie wurde, wie auch der ledig bleibende Mann, zur öffentlichen Problemfigur. Doch während der Hagestolz in Beruf und Politik seine Tätigkeitsfelder hatte, in denen er sich entfalten konnte und gesellschaftliche Anerkennung genoss, geriet die ledig bleibende Frau gleichsam ins soziale Abseits – ohne anerkannte Stellung in der Familie und ohne Perspektive außerhalb.

Unverheiratete hatten in der vorbürgerlichen Gesellschaft ihren sozialen Ort in der „Familie“. Diese war als Produktions- und Hausgemeinschaft definiert, als Einheit all jener, die unter demselben Dach arbeiteten und verköstigt wurden, und nicht als Einheit von Vater, Mutter und Kindern. Diese Ökonomie war von einer klaren Trennung der Arbeits- und Zuständigkeitsbereiche nach Geschlecht geprägt. Die Frauen bezogen ihr Selbstverständnis nicht aus der Paarbeziehung, sondern aus gemeinsamen Arbeits- und Produktionszusammenhängen. Die Durchsetzung des Ehepaares als grundlegende bürgerliche Vergesellschaftungsform aber war mit der Zerstörung weiblicher Kultur verbunden (Prokop 1991). Gleichzeitig wurden Differenzen zwischen Frauen entlang anderer sozialer Dimensionen produziert, denn während sich Frauen der Mittel- und Oberschicht zumindest einen indirekten Zugang zur Welt durch ihre Ehemänner, durch Vermögen oder durch Bildung erschließen konnten, blieben diese Optionen den Frauen aus den unteren gesellschaftlichen Schichten verwehrt.

In Anlehnung an Erdheim (1994), (82) der Institutionen als Stätten der Produktion gesellschaftlicher Unbewusstheit beschreibt, gehe ich davon aus, dass in der Institution der Prostitution verdrängte Aspekte der Kultur aufgehoben sind. Wenn nun die Figur der Prostituierten auf diese verdrängten Aspekte verweist, so ist es umgekehrt möglich, ausgehend von der Beschreibung der Phänomene und Diskurse um Prostitution/Frauenhandel, Widersprüche der Kultur zu erschließen. Dabei postuliere ich – in einer Akzentverschiebung bezüglich der Position Gilberts – dass sich in der Figur der heutigen Prostituierten gerade die Marktlogik, der sich auch das große Paar unterworfen sieht, widerspiegelt, und dass sich dieses Geschlechterkonzept über die Akzentuierung seiner illusionären Seite perpetuiert, während gleichzeitig Machtansprüche von Frauen der Mittel- und Oberschicht in die hegemoniale Gesellschaftsstruktur integriert werden können. Allerdings zeigt die Marktlogik Wirkung, indem die zur Geschlechtsblindheit mutierte Defizitperspektive alle Marktteilnehmer zu Lasten einer hegemonialen Schicht erfasst, ein gesellschaftlicher Umwälzungsprozess, der durch hohe Abfindungssummen auf der einen Seite und Sozialhilfe auf der anderen in europäischen Ländern noch abgemildert werden kann.

3.1.5 Kulturbegriff

Die meisten sozialwissenschaftlichen Definitionen bezeichnen das Symbolsystem einer Gesellschaft als Kultur, das auf der Ebene der Gesamtgesellschaft in Institutionen kodifiziert ist. Ob in diesen Institutionen „die grundlegenden Werte und Normen, Verfahrens- und Verhaltensregeln des menschlichen Zusammenlebens erkennbar sind“ (Hoffmann-Novotny 1996: 106),83 ist weniger umstritten als Fragen im Zusammenhang mit der Annahme, dass Kultur und Struktur einer Gesellschaft aufeinander abgestimmt sind und in einer Entsprechung zueinander stehen.

Im Kontext von strittigen Theoriefragen passt Verena Tobler (84) ihr Konzept der Kernkultur ein. Sie geht davon aus, dass Gesellschaften ihre Kultur aufgrund des Zugangs zu Ressourcen entwickeln, die zur kollektiven Organisierung von (über)lebenssichernden Gütern und Werten für alle Mitglieder der Gesellschaft notwendig sind. Die grundlegenden Regelungen des Zugangs zu existentiell wichtigen Gütern und Werten nennt sie Kernkultur. Die Kernkultur ist aggressiv besetzt. Kulturen unterscheiden sich voneinander in der Reichweite des Zugangs zu Ressourcen.

In Anlehnung an Tobler ist im Begriff Kernkultur die Ausgestaltung der bürgerlichen Gesellschaft angesprochen, die auf der Symbolebene den kollektiven Zugang zu Grundbedürfnissen in den Kategorien öffentlich und privat organisiert. Die Unterordnung der Geschlechterdifferenz unter diese Dualität entspricht gleichzeitig der Zweiteilung auf der Symbolebene: Der Durchsetzung des Primats bürgerlichen Privateigentums und der darauf aufbauenden Hegemonie des Bürgertums und dem Interesse seiner privaten Aneignung liegt das Kapital als kollektiv erwirtschafteter Wert zugrunde.

Mit der Auflösung der Produktionseinheit des ganzen Hauses beanspruchte das Bürgertum die Kontrolle über den produktiven Teil der kollektiv erarbeiteten Werte, was sowohl die Investitionsentscheide als auch die Bedingungen solcher Entscheide umfasst (Staat, Verwaltung, Gesetzgebung etc.). Die reproduktiven Anteile und die Konsumation sind ebenso privatisiert und den männlichen Bürgern als privat zugeordnet. Der soziale Ort der bürgerlichen Frauen entsprach also dem privaten Aspekt der bürgerlichen Männer. Gleichzeitig erhielt die reproduktive männliche Sexualität den Verweis in den privaten Bereich, jene Dimension also, die zugleich sozialer Ort der Frauen war. Die bürgerliche Ehe wurde im Verlaufe des 19. Jahrhunderts im Eherecht institutionalisiert, was den Prozess der Individualisierung stützte, der primär Männern des Bürgertums vorbehaltenen war. Die beschleunigte Arbeitsteilung, die Entfesselung des Privateigentums von feudal gebundenen Formen der Produktionsverhältnisse und die Verberuflichung der Arbeitswelt machten diesen Prozess notwendig.

Unter der Annahme des universalistischen Postulats der moralischen Gleichwertigkeit aller Menschen, dem sich die neue Gesellschaftsordnung verpflichtete, akzeptiert sie das ideelle Konzept der „Gleichheit“ und legitimiert sich dadurch, dass sie soziale Gleichwertigkeit d.h. soziale Gerechtigkeit herstellt. Allerdings unterliegt auch die Gleichheit dem Dualismus: Einerseits etabliert sie sich in der Ökonomie des Verhältnisses von bürgerlichen Männern unter sich und andererseits bezeichnet sie die private Gleichheit aller Frauen in ihrem untergeordneten Verhältnis zu den entsprechenden Männern.

Die soziale Ordnung setzte sich auf der Grundlage des neuen wirtschaftlichen Konzepts von kollektiver Arbeit unter der Hegemonie des Kapitals als Privateigentum über das Leistungsprinzip durch, wobei das Konzept der Prädominanz der männlichen Sexualität zugrunde gelegt wurde. Drei wesentliche Einrichtungen verhalfen (und verhelfen) dem Leistungsprinzip zum Durchbruch.

Erstens die Konstruktion des Gesellschaftlichen in einen öffentlichen und einen privaten Bereich, wobei Muster der Unterordnung und soziale Ungleichheit im privaten Bereich der Ökonomie und der Familie durchaus geltendem Recht entsprechen und grundsätzlich nur bei Öffentlichmachung des Anspruchs, d.h. in politischer, die Grenzen des Privaten überschreitender Formulierung des Anspruchs, legitimiert bzw. verändert werden müssen.

Zweitens Individuierungs- und Ausschlussprozesse, die die Konstruktion aktueller und rechtsverbindlicher Regelung von sozialer Differenz auf der Grundlage der An­ nahme von Gleichheit erlauben. Das heißt, dass alles, was aus den Gleichheitskategorien Geschlecht und Hegemonie heraus fällt und sich nicht öffentlich, politisch als Gleiches zur Sprache bringt, vom Gleichheitspostulat ausgeschlossen bleibt.

Drittens, vor dem Hintergrund der politischen Durchsetzung des Partizipationsanspruchs von Frauen der Mittel- und Oberschicht, die Konstruktion eines geschlechtsblinden Leistungsprinzips, das Geschlecht „entsexualisiert“ und sozial bedeutungslos macht. Die Dominanz dieses Konstrukts lässt den Ausschluss von (sexuell) Differentem zu, indem sich das Differente in Form seines nicht entsexualisierten Geschlechts der Anpassung an das Leistungsprinzip als defizitär verweiger

3.1.6 Frauenarbeit

Während in feudalen Strukturen Frauen einen Großteil der Gebrauchsgüter in der vorherrschenden Produktions- und Reproduktionsstätte der Familie herstellten und auch ledige Frauen dort ihren Platz beanspruchen konnten, hatte sich das einzelne Individuum von dieser Einheit mit der Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise und der Entstehung des bürgerlichen Staates zu lösen. ,,Die herkömmliche Familienwirtschaft war aufgehoben und damit die traditionelle Basis der sozialen Stellung der gewerblichen und bäuerlichen Frauen zerstört.“ (85) Mit der Reduktion der produktiven Tätigkeiten in der Familie wurden Arbeitskräfte freigesetzt, während der Lebensunterhalt nicht mehr für alle Mitglieder in der Familie gewährleistet werden konnte.

Wie schon Marx analysierte, hatten Geschlechts- oder Altersunterschiede seit dem Frühkapitalismus in der Produktion keine Geltung mehr. ,,Es gibt nur noch Arbeitsinstrumente, die je nach Alter und Geschlecht verschiedene Kosten machen.“ (86) Marx spricht dabei von einer Entwertung der männlichen Arbeitskraft, da ihr Wert nicht durch die Erhaltung des individuellen erwachsenen Arbeiters, sondern durch die Erhaltung der ganzen Arbeiterfamilie bestimmt wird: „Die Maschinerie wirft alle Glieder der Arbeiterfamilie auf den Arbeitsmarkt und verteilt den Wert der Arbeitskraft des Mannes über die ganze Familie.“ (87) Wo Frauen und Kinder ihre Arbeitskraft als „zusätzliche“ billiger verkaufen können, drückt dies zwangsläufig die Löhne der männlichen Arbeiter, wenn um die gleichen, raren Arbeitsplätze konkurriert werden muss. (88) Wie Brandt et al. zeigen, unterschied sich die Situation der damaligen Proletarierin besonders durch zwei Merkmale von der der Bürgerin: Die Entlastung von Hausarbeit und von Erziehung der Kinder als gesellschaftlich notwendige Arbeit „deren private Finanzierung dem Proletariat nicht möglich und deren gesellschaftliche Finanzierung auf Grund privatwirtschaftlicher Kalkulation ausgeschlossen war (und ist). Während also den Proletarierinnen Haushalts- und Erziehungsarbeit im Privatbereich der Familie ohne Entgelt zugemutet wurde, mussten sie im Produktionsbereich Lohnarbeit leisten. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Frauen wurde ihnen das „Recht“ auf Arbeit aufgezwungen.“ (Brandt: 22). Die Arbeiter, die ihre Existenz zuerst von der Maschinerie bedroht sahen, verliehen ihrer Ohnmacht mit der Maschinenstürmerei Ausdruck; ihr Zorn richtete sich aber ebenso auf die Erwerbsarbeit der Frauen, was in der Literatur als proletarischer Antifeminismus bekannt ist. (89) Sie hofften, durch die Blockierung des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Frauen das Arbeitskräfteangebot zu verringern und dadurch eine bessere Position in Lohnverhandlungen zu behaupten. Legitimiert wurde diese Haltung durch das Konzept der bürgerlichen (Klein-)Familie, nach dem der Mann als Ernährer von Frau und Kindern einer (Lohn-)Arbeit nachgeht, mit seinem Lohn die Familie sichert, damit sich die Frau um den Haushalt, die Pflege und das Wohlergehen von Mann und Kindern kümmern kann. Der Realität von Armut und Elend hielt dieses Konzept allerdings nicht Stand: Die besitz- und bildungslosen Schichten waren gezwungen, für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für Frauen, Männer und Kinder zu kämpfen. Während kollektive Widerstandsformen ihren Ausdruck in gewerkschaftlicher und parteilicher Organisierung fanden, zeigten sich individuelle Überlebens- bzw. Verdrängungsstrategien u.a. in Alkoholismus, Eigentumsdelikten oder Prostitution. (90) Arbeiter-Frauen waren nicht nur durch die Notwendigkeit von Lohnarbeit, schlechter Position auf dem Arbeitsmarkt, Zuständigkeit für Kinder und Familienarbeit und Abhängigkeit von Ehemann, Vater oder Bruder wirtschaftlich und sozial schlechter gestellt als Arbeiter, es standen ihnen auch auf der politisch-juristischen Ebene keineswegs die gleichen Instrumente zur Verfügung wie den Männern. (91) Wenn auch Bebels Buch Die Frau und der Sozialismus (92) wesentlich zur Verbreitung der sozialistischen Emanzipationstheorie unter Arbeiterfrauen und Arbeiterinnen beitrug und Engels die Unterdrückung der Frau in Familie und Gesellschaft auf die Entstehung des Privateigentums zurückführte und ihre Einbindung in den Produktionsprozess forderte, (93) war vielen Frauen klar, dass sie ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit teuer zu erkaufen hatten. ,,Aus einer Sklavin des Mannes ward sie die des Arbeitgebers: Sie hatte nur den Herrn gewechselt.“ (94) Oder vielmehr, sie hatte nun gleich zwei Herren: den Mann in der Familie und den Arbeitgeber am Arbeitsplatz, wenn sie überhaupt Arbeit fand. Obwohl Clara Zetkin die Notwendigkeit der gemeinsamen Organisation trotz Schwierigkeiten immer wieder betonte, erwies sich das Prinzip der Gleichheit auf Grund der „Doppelbelastung“ der Frauen als unhaltbar. Das Instrument des „Arbeiterinnenschutzes“ war Ausdruck des Widerspruchs zwischen dem Gleichheitsbegriff des bürgerlichen Liberalismus und den ökonomischen Realitäten von Frauen, die sich trotz verfassungsrechtlicher Verankerung der Gleichberechtigung (Stimm- und Wahlrecht 1918 in Deutschland, 1972 in der Schweiz eingeführt) wesentlich von denen der Männer unterschieden (und unterscheiden). Die Entwicklung der Frauenarbeit und ihrer Bedingungen im und nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland bestätigt, dass die Erwerbstätigkeit der Arbeiter-Frauen nicht von ihren Bedürfnissen und den Bedürfnissen ihrer Familien abhängt, sondern vom schwankenden Bedarf an weiblichen Arbeitskräften. ,,Die massenhafte Einbeziehung der Frauen in den Produktionsprozess ab 1916 – vor allem in Munitionsfabriken und in der Elektroindustrie -, die Beseitigung aller Arbeitshemmnisse für Frauen – Heranziehung zur Schwerstarbeit und Außerkraftsetzung aller Vorschriften über Arbeiterinnen-, Jugend- und Kinderschutz für die Dauer des Krieges-, machten die Vorstellungen über das„Wesen“ der Frau gegenstandslos.“ (Brandt: 31) Die Verdrängung der Frauen von den Arbeitsplätzen zugunsten der Integration der zurückkehrenden Soldaten in die Wirtschaft gab der Sichtweise der sozialistischen Frauenbewegung Recht und zeigte die Wirkungslosigkeit der Gleichberechtigung, wenn sie an der Umsetzung für eine qualitative Verbesserung der Lebensbedingungen für Arbeiter-Frauen gemessen werden sollte. Die Massenentlassungen während der Wirtschaftskrise betrafen denn auch in erster Linie Frauen. Zudem wurden Sozialhilfen zulasten von Frauen und Kindern gesenkt oder gestrichen. Abgelehnt wurde auch der Antrag der kommunistischen Reichstagsfraktion von 1931 mit den Forderungen: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Außerkraftsetzung aller die Frauen benachteiligenden Gesetze, gleiche Rechte für unverheiratete Mütter und volle Entscheidungsfreiheit und Gleichberechtigung der Ehefrauen. Die Heroisierung der Mütter mit Muttertag und Mutterkreuz war angesagt, gleichzeitig machte der zweite Weltkrieg die Erwerbsarbeit für Frauen aber zur Pflicht.

Die Historikerin Brigitte Studer untersucht die Umschichtungen und Umstrukturierungen der weiblichen Erwerbstätigkeit in der Schweiz von 1888-196095 und stellt bereits bei der Erfassung von Frauenarbeit Schwierigkeiten fest: ,,Angaben zur zahlenmäßigen Entwicklung der weiblichen Erwerbsarbeit haben stets den Definitionsprozess der sozialwissenschaftlichen Kategorien in Betracht zu ziehen. Statistiken erfassen nur diejenige soziale Realität, die zu einem bestimmten Zeitpunkt als relevant bezeichnet wird. Die Erfassung der umstrittenen, wirtschaftlich notwendigen, aber gesellschaftlich großenteils unerwünschten Frauenarbeit basierte in der Regel auf einer spezifischen Repräsentation des Sozialen, die „wirtschaftliche“ Tätigkeit zunehmend auf hauptberufliche und nicht intermittierende Lohnarbeit beschränkt. Von diesem Muster abweichende, spezifische Formen von Erwerbstätigkeit, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden, sind daher von den Enqueten und statistischen Erhebungen wie auch von den seit 1850 alle zehn Jahre durchgeführten eidgenössischen Volkszählungen nur unvollständig erfasst. Die Taxonomien der Sozialstatistik waren zwar bereits zum Zeitpunkt ihrer Formulierung als normative Konstrukte umstritten, gleichwohl vermochten sie die Aneignungsformen und die Praktiken des Sozialen zu strukturieren. Seit einigen Jahren hat die historische Forschung begonnen, diesen „Wahrheitseffekt“ nicht mehr als gegeben zu nehmen, sondern ihn zu problematisieren und somit selbst zum Gegenstand historischer Forschung zu machen.“ (Studer: 73 f.).

In Bezug auf den Arbeitsmarkt ist schon die Ausgangslage zwischen Männern und Frauen ungleich. Dies äußert sich am augenfälligsten im völlig unterschiedlichen Grad der Erwerbsbeteiligung der beiden Geschlechter. ,,Die Wirtschaftskrise förderte demnach die gesellschaftliche Kontroverse darüber, nach welchen Kriterien die Verteilung der Arbeit als sich rarifizierende Ressource geschehen solle. Die Frage drehte sich stets um die Legitimität der weiblichen Erwerbstätigkeit, nie um diejenige der Männer“ (Studer: 86).

Die These, wonach hinter der Kampagne gegen die „Doppelverdiener“ eine weit verbreitete Moral gelegen hätte, nach der die beschränkte Anzahl Arbeitsplätze und das Einkommen entsprechend den familiären Verpflichtungen zu verteilen gewesen wäre, lässt sich auch durch die in der Schweiz vorgebrachten Argumente stützen (Studer: 87).

Studer kommt in ihrer Arbeit über die Erwerbsquoten von Frauen in der Schweiz von 1888-1960 zum Ergebnis, dass das Merkmal Geschlecht (sex) den Arbeitsmarkt wesentlich horizontal nach Geschlecht sowie vertikal nach beruflicher Positionierung strukturiert. Die starken Fluktuationen können nicht allein durch die strukturellen Veränderungen und die Konjunkturen erklärt werden. Frauen sind bis heute gezwun­ gen, ihre berufliche Identität zu legitimieren, und zwar vor allem bezüglich Lebens­ situation und Zivilstand.

3.1.7 Frauenarbeitsgesetze

Während des 20. Jahrhunderts wurden zunehmend besondere Bestimmungen oder gar Sondergesetze zur Regelung der Frauenlohnarbeit geschaffen. (96) Bei der Fabrikgesetzgebung waren sie noch Teil eines allgemeinen, das heißt für alle Arbeitskräfte geltenden Gesetzeswerks, im Bereich der gewerblichen Arbeit kamen nun Gesetze zur Geltung, die ausschließlich die Arbeit von Frauen regelten.

Ungleiche Lebens- und Arbeitsbedingungen sind Bestandteil der Geschlechterordnung. Ungleiches Recht aber bedarf einer Begründung, seitdem das Postulat der Rechtsgleichheit Gestaltungskraft gewonnen hat und zu den unverzichtbaren Bestandteilen von Rechtsnormen gehört. Als Legitimation unterschiedlicher Rechte für Männer und Frauen dienten die unterschiedliche „Natur“, Konstitution oder gar „Biologie“ von Männern und Frauen und ihren darauf gründenden unterschiedlichen physischen Möglichkeiten sowie ihre familiäre und gesellschaftliche Rolle. Diese Differenz lässt die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die Definition von Männerarbeiten und Frauenarbeiten, aber auch unterschiedliche Rechtsnormen, wie sie in den Schutzgesetzen verankert sind, als „natürlich“ erscheinen.

Das Postulat der Rechtsgleichheit der Geschlechter hat das Rechtssystem verändern können, nicht aber die gesellschaftliche Machtverteilung und das darauf beruhende System der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Bei der Überwindung des ungleichen Rechtssystems war das Prinzip der Gleichheit eine zentrale Voraussetzung, bei der weiteren Verwirklichung der Gleichberechtigung scheint es hinderlich zu sein.

Ein Teil des dabei auftretenden Widerstands ist dem aufklärerischen Gleichheitsbegriff selbst immanent, der nur die Gleichbehandlung von Gleichem zu fordern scheint. Da jede Differenz vom männlichen Maß auch gleich eine hierarchische Abwertung darstellt, kann der Anspruch auf Gleichberechtigung nur erworben werden, indem offensichtlich bestehende Ungleichheiten als nebensächlich deklariert werden. Sie dürfen nicht als tatsächliche Abweichung vom männlichen Maßstab gewertet werden können. Frauen mussten unter Beweis stellen, dass sie in jeder Lebenslage und unter allen Umständen identische Leistungen erbringen konnten. War das nicht möglich, rechtfertigte dies eine Minderstellung.

Diese Definition von Gleichheit ist wesentlich daran beteiligt, dass Frauen trotz fortschreitender rechtlicher Gleichstellung die gesellschaftliche Gleichberechtigung nicht erreicht haben.

3.1.8 Bürgerliche Frauen

Weil die besitzenden Frauen der bürgerlichen Schichten von den Freiheiten und Rechten, die auf dem Privateigentum beruhten, weitgehend ausgeschlossen waren und den nicht besitzenden Frauen der Zugang zur Berufswelt versperrt war, sahen sie sowohl gleiche Rechte (wie die bürgerlichen Männer), Recht auf Arbeit und Zugang zu allen Berufen, wie auch Zulassung zu den Bildungsinstitutionen als Garant ihrer Freiheit und Gleichheit. Entsprechend der bürgerlichen Gleichheitsforderung stimmten sie dem Abbau aller traditionellen Privilegien zu und lehnten jegliche Sonderbestimmungen und -rechte ab. Sie folgten dem auf dem Konkurrenz- und Leistungsprinzip beruhenden Individualitätsbegriff, wobei das Primat der Familie kollektiv zwar nicht in Frage gestellt, praktisch aber durch Ehe- oder Kinderlosigkeit doch unterlaufen wurde. (97) Wenn sich eine Mehrheit der bürgerlichen Frauen doch der Ehe und den damit verbundenen Pflichten zuwandte, galt es als schicklich, sich erst einer beruflichen Tätigkeit zu widmen, wenn die Erhaltung der Familie gesichert war. ,,Der einzelnen Persönlichkeit muss die Freiheit gegeben werden, nach dem Maß ihrer Kräfte und nach innerster Überzeugung Beruf mit Ehe und Mutterschaft zu vereinigen, und es wird immer Frauen geben, die körperlich so kräftig und seelisch so reich sind, dass sie das Recht haben, eine doppelte Last auf sich zu nehmen.“ (98) Die Forderungen der bürgerlichen Frauenbewegung wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts trotzdem nur schleppend oder gar nicht durchgesetzt. So beschäftigen sich Politik und Gerichte immer wieder mit Forderungen nach gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit, nach Übernahme von Hausarbeit und Erziehungsfunktionen durch gesellschaftliche Institutionen, nach zivilstandsunabhängiger Mutterschaftsversicherung, nach Schutz vor Gewalt in Ehe und Partnerschaft und Scheidungsrecht. Die Widersprüche und Unvereinbarkeiten zwischen Beruf, Karriere, Familie, Mutterschaft liegen weitgehend im Bereich individueller Lösungsstrategien und sind nach wie vor stark durch die Abhängigkeit von (Ehe)Männern oder Eltern geprägt. Daran konnte auch die Aufwertung der Mutter und Hausfrau zum Beruf als Kompensation gesellschaftlich verwehrter Persönlichkeitsentfaltung nichts ändern.

3.1.9 Historische Wurzeln von Frauenhandel in der Moderne

Das Phänomen Frauenhandel ist in der Literatur nicht neu. In ihrem Aufsatz über die Prostitution im Rio de Janeiro des 19. Jahrhunderts merkt die Historikerin dos Santos Silva an, dass „die Prostitution eine typische Form weiblicher Sklaverei darstellt und man von einer Frauengeschichte nicht sprechen kann, ohne die Geschichte der Dirne mit einzubeziehen.“99 Sie beschreibt die dortige Entstehung der patriarchalischen Familie der Ober- und oberen Mittelschicht, die auf der Herrschaft des Mannes über der Frau beruhte, unterstützt durch eine doppelte Moral: der Mann, das „starke Geschlecht“, der bedeutende Leitungsfunktionen wahrnimmt und der alle seine Bedürfnisse befriedigen kann, und die Frau, das „schwache Geschlecht“, die zu häuslichen Pflichten und Kindererziehung auf das Haus beschränkt ist und unter der Herrschaft ihres Vaters und später ihres Gatten lebt. Von Grundbesitz, Rechten und Geschäftstätigkeit praktisch ausgeschlossen „… vergötterte man die „reine Frau“, während man von den Ausschweifungen des Mannes kaum Aufhebens machte.“ (dos Santos: 298). Um die „Reinheit“ der weißen Frau aufrechtzuerhalten, hatten die in dieser sozialen Schicht üblichen schwarzen Sklavinnen nebst den Hausarbeiten ihrem Herrn auch sexuelle Dienste zu leisten. Manchmal wurden sie „verliehen“, eine Form der damaligen Prostitution.

Die Prostitution hatte aber auch in Europa Probleme geschaffen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sprach man von der Existenz eigentlicher Organisationen, die gezielt junge Mädchen für die Prostitution anwarben. (100) Diese Organisationen arbeiteten mit Anzeigen in Zeitungen und durch Büros zur Stellenvermittlung. Man bot Arbeitsplätze in künstlerischen Gruppen, Restaurants, Cafes zu einem guten Gehalt an, ohne dass die jungen Frauen besondere Erfahrungen mitbringen mussten. Eine andere Möglichkeit war ein Heiratsantrag in entfernte Länder. Im Allgemeinen gab es vor der Abreise eine kleine Probezeit, in der die Papiere für Minderjährige gefälscht wurden und eine gewisse „Ausbildung“ der unerfahrenen jungen Mädchen stattfand. Dann folgte die Reise im Zug und per Schiff. Die Schulden, die sich mit der Zeit anhäuften, die Schwierigkeiten der Verständigung in einem fremden Land, die Unkenntnis der einheimischen Sprache schufen praktisch unüberwindliche Hindernisse für eine eventuelle Rückkehr. Der „Mädchenhandel“ oder der „weiße Sklavenhandel“, (101) wie das Phänomen damals benannt wurde, erreichte beträchtliche Dimensionen. Innerhalb Amerikas waren Brasilien und Argentinien die bedeutendsten Ziele, eine Folge der geringen Einreisekontrollen in diesen Ländern. Rio de Janeiro spielte eine beachtliche Rolle als Umschlagplatz. Dabei erzielten weiße Frauen, besonders Französinnen, dreimal höhere Preise als andere.

Als Tänzerinnen und Sängerinnen siedelten sie sich in der Luxusklasse der Prostituierten an, wo sie ,,zu einem Grad von Berühmtheit und Reichtum gelangten, die sie in Europa auf diese Weise niemals hätten erreichen können“, wie ein zeitgenössischer Reisender zu erzählen weiß. (102)

Ein Grund vieler junger Europäerinnen, ihr Glück in der Prostitution in Städten und fremden Ländern zu suchen, war die krasse Unterlegenheit der Frauen auf dem neuen, einheimischen Arbeitsmarkt. Ähnlich wie in England drangen von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an weibliche Arbeitskräfte in die Industrie ein. Die Arbeiter fühlten sich bedroht, machten sie für die Arbeitslosigkeit verantwortlich, streikten, wenn Frauen eingestellt wurden und beschworen die Bedeutung der Hausfrau auch für Arbeiterinnen. Die Arbeitsbedingungen für Frauen waren hart, und der Lohn betrug etwa die Hälfte von dem der Männer.

3.1.10 Erste Organisationen zur Bekämpfung des Frauenhandels

Der Mädchenhandel skandalisierte unterdessen die Öffentlichkeit, und 1877 wurde in Genf die Union International des Amis de la Jeune Fille aus Anlass des ersten Kongresses der Federation Abolitioniste Internationale gegründet.103 Weitere Konferenzen zum Thema fanden 1888 in London und 1894 in Paris statt. Verschiedene Vereinigungen wurden zum Schutz junger Mädchen und zur Beseitigung des Mädchenhandels gegründet und internationale Konferenzen abgehalten. 1895 tagte in Paris die erste internationale Konferenz zur Verhinderung des Frauenhandels. Weitere Konferenzen folgten 1899 in London und Budapest. 1904 wurde in Paris das erste internationale Abkommen über „weiße Sklaverei“ beschlossen. 1910 wurde die Genfer Konvention gegen Mädchen- und Frauenhandel verabschiedet, die 1921 ausgeweitet, auch Knaben unter Schutz stellte. 1933 wurde in Genf eine neue Konvention unterzeichnet, wonach Minderjährige (unter 21 Jahren) geschützt sind und zugleich der Transport von Frauen ins Ausland zum Zweck der Prostitution unter Strafe gestellt wird, auch wenn die Frauen damit einverstanden waren.

3.1.11 Diskurse um Prostitution

Der absolutistische Staat kriminalisierte bestimmte Sexualhandlungen, fasste sie aber nicht als einen geschlossenen Deliktsbestand auf und ahndete nach anderen Kriterien, für andere Zwecke und mit anderen Folgen als die späteren Gesetzgeber. Obrigkeit und Untertanen haben Sexualhandlungen als Teil sozialer Lebenszusammenhänge verstanden und nicht ausschließlich aus geschlechtlicher Perspektive. Sexualstrafrecht und Sittlichkeitsdelikte gibt es erst seit dem 19./20. Jahrhundert. (104) Nach Hull bezog sich das Interesse der Regierung auf die Erhaltung der sozialen Ordnung, deren Kern in der frühmodernen Zeit die Ehe war. Diese war die Voraussetzung für die wirtschaftliche Tätigkeit in der Produktion, Voraussetzung für die Erlangung des Bürgerrechts und Ordnungsprinzip für die soziale und sexuelle Reproduktion. Dabei zielte das frühmoderne Rechtssystem auf die Aufrechterhaltung der Stände, was sich in den ständischen Normen in Rechtsprechung und Strafpraxis widerspiegelt. Die Tatbestände zielten nicht nur auf das Verbrechen, sondern auf den sozialen Stand des Verbrechers, dessen Unrecht an der Gesellschaft durch seine standesspezifischen Pflichten definiert wurde. Dabei war nicht nur der Stand nach Geburt, sondern auch nach Geschlecht, Heirat und Reichtum relevant. Gesetz und Recht bestätigten die als gerecht empfundene Ungleichheit und galten als legitim, wenn diese ständische Gerechtigkeit wiederhergestellt wurde. Diesem frühen Grundsatz wird später mit dem Postulat der Gleichheit vor dem Gesetz widersprochen.

Dilcher (1997) weist auf die einzigartige Leistung Feuerbachs 105 hin, der das absolutistische Strafrecht kritisierte, die völlige Trennung von Recht und Moral postulierte und die konsequente Beschränkung der staatlichen Aufsicht auf Delikte forderte, die die Rechte Dritter verletzten. Freiwillige Sexualhandlungen verschwanden zunehmend von der Liste der Verbrechen zugunsten der Anerkennung einer privaten Sphäre individueller moralischer Entscheidung. Allerdings enthielten die neuen Strafgesetze „bürgerliche“ Normen, die Geschlechtsspezifität noch radikaler ausführten als der Absolutismus.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts kämpfte die Frauenbewegung gegen eine strafrechtliche Sanktionierung der Prostitution und ihres Umfelds, die allein den Frauen die Folgen der „Doppelmoral“ aufbürdeten. Die Prostitution stand als Regelung zum Wohl der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes grundsätzlich unter Strafe, aber ebenso grundsätzlich war sie als „unumstößliches Faktum“ toleriert. In „Mischtatbeständen“ vereinten sich die widersprechenden Aspekte der Prostitution. Die staatliche Reglementierung der Prostitution war seit Anfang des 19. Jahrhunderts nach napoleonischem Vorbild in zahlreichen europäischen Staaten eingeführt worden.

Die internationale europäische Frauenbewegung kritisierte die staatlichen Organe, die mutmaßlich polygam lebende Frauen Sanktionen unterzogen, ohne Mädchenhandel, Armutsprostitution oder Zuführung junger Mädchen zur Prostitution verhindern zu können. Sie kritisierte, dass die behördlich angeordnete Registrierung und medizinische Untersuchungen die Frauen demütige und „ehrlos“ mache, damit sie die Männerwelt als „gemeine Dirne“ ,,bedienen“. (Meyer-Renschhausen: 772). Ab 1902 forderte die im Bund deutscher Frauenvereine organisierte Frauenbewegung Straffreiheit der Prostitution, die Schließung aller Bordelle und Bordellstrassen sowie „soziale Arbeiterinnen“ für den Umgang mit „gefährdeten Mädchen“. In Deutschland trat 1927 ein „Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ in Kraft, welches diese Forderungen aufnahm.

Die Frauenbewegung trug den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung. Frauen nahmen vermehrt am öffentlichen Leben und konnten oder wollten sich als Arbeiterin, Juristin, Ärztin oder Politikerin nicht auf die Rolle als Ehegattin, Hausfrau und Mutter beschränken. Letztendlich erreichte die Bewegung vor allem einen „moralischen“ Sieg, indem sich die Idee des 19. Jahrhunderts, die Prostitution als „Frauenproblem“ zu begreifen, erledigt hatte und die Strafbarkeit der Prostitution in den (west-)europäischen Ländern ab Ende der 20er Jahre aufgehoben war. Allerdings zeigen sich in der Gesetzgebung dieser Zeit immer noch zwei bis heute wirksame Aspekte: Die Prostitution als „unumstößlich notwendiges“, aber zugleich als „unerwünschtes“ Faktum.

Zu dieser Zeit war die Prostitution in Europa reglementiert. Sie galt als schmutzig und verwerflich, wurde aber geduldet, weil sie die „Funktionsfähigkeit des sozialen Organismus“ demonstrierte. (106) Man traf Maßnahmen, um das so genannte „notwendige Übel“ zu überwachen und zu kontrollieren. Sittenärzte untersuchten die jungen Frauen auf Geschlechtskrankheiten, und die Obrigkeit kontrollierte die Bordelle, die zugleich den Zuhältern als Anwerbungsbasis für den wachsenden Markt in Übersee dienten. Denn dorthin schwappte die europäische Auswanderungswelle, die zum größten Teil aus jungen Männern ohne Familie bestand.

Angesichts der Angst vor Geschlechtskrankheiten in den rasant wachsenden Industriestädten entsprach die Auffassung eines Pariser Arztes dem Zeitgeist. Er schätzte die Prostitution bei einer Anhäufung von Menschen als unvermeidlich ein, genauso wie „Müll und Unrat“; allerdings spiele sie beim moralischen Schutz der Gesellschaft eine wichtige Rolle. ,,Wenn man die Prostitution unterdrückt, werden die Leidenschaften die Gesellschaft umwälzen, wenn man ihnen den Platz zuweist, der den ehrenhaften Frauen reserviert ist, wird alles in Schmutz und Schande versinken.“ (107)

Der italienische Arzt Lombroso definierte Prostitution als eine „spezifische Form der Kriminalität“. (108) Er rechtfertigte die Ausgrenzung und Kriminalisierung von Prostituierten mit körperlichen Symptomen von „angeborener Nymphomanie“, die er zusammen mit „Debilität“ feststellen zu können glaubte. Der medizinische Diskurs schuf damit Voraussetzungen zur sozialen Ausgrenzung und Diskriminierung von vielen Frauen der unteren Gesellschaftsschichten, deren sexuelles Verhalten nicht dem bürgerlichen Frauen-Ideal entsprach; er verlangte staatliche Maßnahmen zur Reglementierung der Prostitution und des Mädchenhandels und rechtfertigte gleichzeitig die Überwachung, Kontrolle und Bestrafung der Prostituierten.

Der Einfluss des medizinischen Diskurses um Prostituierte, Prostitution und Frauenhandel bleibt bis heute relevant, wenn auch weniger in einem strafrechtlichen Zusammenhang. So hat denn die Sorge über die Ausbreitung der hauptsächlich geschlechtlich übertragenen Krankheit AIDS die aktuelle Forschung über Prostitution und Prostitutionsmigration wesentlich mitbestimmt. (109) Aids-Präventionsstellen koordinieren und finanzieren auch Frauenprojekte, die sich in aufsuchender Arbeit mit (Migrations-)Prostituierten engagieren. (110)

3.1.12 Zweierlei Konzepte von Ehre

Grundlagen zu staatlichen Interventionen und geschlechtsspezifischer Überwachung gehen auf die Zeit nach der Reformation zurück, wo die gerichtliche Hoheit in Sitt­ lichkeits- und Ehesachen ganz von der Kirche auf die weltliche Obrigkeit überging und die neue Konzeption von Sexual- und Ehedelikten in die Kriminalrechtspraxis übertragen wurde.

Wie Lyndal Roper (111) anmerkt, bestimmte die Ordnung des Haushalts im 16. Jahrhundert sowohl die Arbeitsverhältnisse als auch die Geschlechterbeziehungen. Der Mann sollte heiraten, wenn er Meister und damit voll erwachsen war; ein unverheirateter Meister galt als unehrlich. Zugleich musste er das Recht aufgeben, zusammen mit den anderen Gesellen Bordelle zu besuchen. Wie der Mann wurde auch die Frau erst durch die Ehe in ihrer sozialen und ökonomischen Position gesichert. Für Mann und Frau waren Ehe, Ehre und soziale Position untrennbar miteinander verbunden. Deshalb war Ehebruch gefährlich: Außereheliche Verhältnisse zerstörten sowohl die materielle als auch die ideelle Basis eines Haushalts. Der Begriff der Ehre war zwar materiell gefasst, es lagen ihm aber für Frauen und Männer unterschiedliche Konzepte zugrunde. Während die Ehre des Mannes korporativ gesetzt und mit dem öffentlichen Leben, mit der Zunft, mit der Arbeit und mit dem Status verbunden war, bezog sich weibliche Ehre auf die Ehe, die Keuschheit und auf Geld (Mitgift). Frauen konnten für den Verlust ihrer Jungfräulichkeit Geld, die so genannte Morgengabe, verlangen. Für sie galt die Gleichung: Geld im Tausch gegen den Verlust der jungfräulichen Ehre. Um die Ehre wiederherzustellen, musste eine der Prostitution verdächtigte Frau vor Gericht dokumentieren, dass sie kein Geld genommen hatte und also keine Prostituierte war, sondern dass sie für die Ehe zur Verfügung stand und den entsprechenden Status in der Gesellschaft beanspruchte.

In den Deliktslisten früherer Jahrhunderte unterscheidet Hull (1997: 225) drei Arten von verbotenen Handlungen:

1) Heterosexuelle Gewalt, d.h. ,,Notzucht“ oder Entführung zu sexuellen Zwecken, auf die die Todesstrafe durch das Schwert stand,

2) gewalttätige Handlungen im Zusammenhang mit heterosexuellem Verkehr, d.h. Abtreibung und Kindsmord. Darauf stand ebenfalls die Todesstrafe und

3) freiwillige Sexualhandlungen, die gegen religiöse oder moralische Werte verstießen, d.h. außerehelicher sexueller Verkehr, der als „Unzucht“ oder Leichtfertigkeit unter Strafe stand, sowie Ehebruch, Konkubinat, Inzest und Bigamie, die mit Geldbußen, Rutenschlägen, Gefängnis oder Landesverweisung bestraft wurden, und Sodomie, d.h. homosexueller Verkehr oder sexuelle Handlungen mit Tieren, die beide mit dem Feuertod bestraft wurden.

Die Strafbarkeit von Sexualhandlungen ist aus der Einbettung in soziale Lebenszusammenhänge zu verstehen, was im Vergleich den Blick für die historische und soziale Bedingtheit heutiger Straftatbestände schärft. Soweit die Handlungen nicht die körperliche Unversehrtheit anderer betrafen (Kategorie 1 und 2), gründeten sie auf moralischen Kriterien, die aus dem Ehrbegriff abgeleitet waren, dem eine zentrale Bedeutung im rechtsverbindlichen gesellschaftlichen Leben zukam.

Auf der Grundlage einer materiell nach Geschlecht differenzierten Auffassung von Ehre hinterließen die Deliktslisten ihre Spuren in den Sittlichkeitsgesetzen des 19. und 20. Jahrhunderts. Die strafrechtliche Erfassung und Verfolgung von „freiwilligen“ Handlungen wurde indessen zunehmend in Frage gestellt, da sie nicht die Rechte Dritter berührten. Zur Zeit der Jahrhundertwende erreichte der öffentliche Streit um die „Doppelmoral“ und die ungleichen Maßstäbe, denen „sittliches“ Verhalten von Männern und Frauen staatlich sanktioniert unterlag, einen Höhepunkt. (112)

3.1.13 Zur Geschichte der Diskurse über Prostitution

Eine Geschichte der Prostitution, die ihre Entwicklung implizit oder explizit als gra­ duelle Entfaltung von essentiellen, trans-historischen geschlechtlichen Beziehungen präsentiert, tendiert dazu, die unterschiedlichen Formen, die die Kommerzialisierung der sexuellen Beziehungen über die Zeit angenommen hat, aus dem Blickfeld zu verlieren.

Wie Friedrich Engels in seinem Buch „Der Ursprung der Familie, des Privateigen­ tums und des Staates“ (113) bemerkt, beruhte die Sichtweise der naiven Anthropologen, die jede Form von außerehelicher sexueller Beziehung in „primitiven“ Gesellschaften als eine Form von Prostitution interpretierten, auf dem Missverständnis von legitimen und akzeptierten sexuellen Austauschbeziehungen, die zwischen Menschen von gleichem sozialen Status in diesen Gesellschaften erfolgten. Einen ähnlichen Hinweis macht Michel Foucault (1986a) in seiner Studie über Homosexualität, wo er zeigt, dass zum Beispiel das antike Griechenland einen Unterschied machte zwischen denen, die viele sexuelle Beziehungen hatten (hetairekos) und denen, die sich prostituierten (peporneumenos), indem sie sexuelle Beziehungen gegen Geld oder andere Zuwendungen aufnahmen. Die soziale Bedeutung von Prostitution und die Hauptformen der Regulierung präsentierten sich allerdings wesentlich anders als in späteren Epochen.

Im mittelalterlichen England wurden alle Akte der „Sodomie“ (Homosexualität) hart bestraft, während weibliche Prostitution zwar strafrechtlich verfolgt, aber doch als „notwendiges Übel“ akzeptiert wurde. Städtische Autoritäten in ganz Europa etablierten lizenzierte und in städtischem Eigentum befindliche Bordelle. (114) Die qualifizierte Akzeptierung und Institutionalisierung der weiblichen Prostitution im mittelalterlichen Europa reflektierte den inferioren sozialen Status der Frau und die ambivalente Einstellung der christlichen Kirche gegenüber dem Austausch sexueller Dienstleistungen gegen Geld oder anderen Formen der Bezahlung. Obwohl sich nach dem Ende des Mittelalters die weibliche Prostitution überall ausgebreitet hatte und die Aktivitäten der „Huren“ moralische und legale Sanktionen herausforderten, konnte sich die Prostitution in Europa erst Anfang des 19. Jahrhunderts in ihrer modernen Form ausbreiten.

Alain Corbin (115) analysiert den kommerziellen Sex im 19. Jahrhundert in Frankreich und beschreibt, wie die Argumente der städtischen Autoritäten, Mediziner, Hygieniker, Polizei und Richter kombiniert wurden, um die Regulation der Prostitution für drei wesentliche soziale Bedürfnisse zu organisieren: Das Bedürfnis, die öffentliche Moral zu schützen, das Bedürfnis, die männliche Prosperität zu stützen (kommerzieller Sex wurde als Gefährdung der sozialen Mobilität von Männern und als unkalkulierbares Risiko einer unehelichen Vaterschaft gesehen) und das Bedürfnis, die nationale Gesundheit vor sexuell übertragbaren Krankheiten zu schützen.

Diese drei sozialen Grundbedürfnisse finden eine Entsprechung in folgenden Schlüsselbildern von Prostituierten:

– Die Prostituierte als Kind, das respektables, erwachsenes Verhalten und soziale Werte weder versteht noch akzeptiert.

– Die Prostituierte als faule Person, die sich legitimer Arbeit gegenüber unwillig zeigt.

– Die Prostituierte als Symbol für Unruhe und Aufmüpfigkeit.

– Die Prostituierte als Quelle von Krankheit und Ansteckung.

Die Prostituierte als Frau der unteren Klasse, die an die physischen Bedürfnisse der Männer der oberen Klasse gebunden war.

Soziale Antworten auf Prostitution waren grundsätzlich widersprüchlich: Auf der einen Seite wurde Prostitution als „notwendiges Übel“ akzeptiert, während auf der anderen Seite Prostituierte und Prostitution vom „sauberen“ öffentlichen Raum weggesperrt wurden. Die detaillierten Beschreibungen eines William Acton (1857) in London, Parent-Duchâtelet (1857) in Paris und William Sanger (1897) in New York waren Reflexionen über soziale Attitüden, und gleichzeitig hatten sie großen Einfluss auf ebendiese in verschiedenen Ländern. Prostitution wurde als zunehmende Flut des Lasters, Verwahrlosung und Promiskuität in urbanen Zentren diskutiert. Man schätzt, dass im London der 1860er Jahre um die 80’000 weibliche Prostituierte aktiv waren. Die meisten von ihnen waren durch niedrige Löhne und Mangel an Arbeitsmöglichkeiten zu dieser Tätigkeit getrieben. Die Themen, die diese Sozialkommentatoren ansprachen, waren überall die gleichen: Verdorbenheit der Jugend, ansteckende Geschlechtskrankheiten (vor allem Syphilis), weibliche Promiskuität, Frauenhandel und die Erhaltung von Ruhe und Ordnung.

Überall im Westeuropa des späten 19. Jahrhunderts wurden Kampagnen zwecks Verbesserung der öffentlichen Moral und Unterdrückung der Prostitution organisiert. Häufig führten diese Männern und Frauen aus evangelistischen Organisationen an. Auch Frauen wie Josephine Butler, die sich für die Schließung von Bordellen einsetzte, die die Tätigkeit junger Prostituierter anprangerte, die das Laster ausrotten wollte und Keuschheit für Männer und Frauen gleichermaßen forderte, waren darin engagiert. Ein Artikel in der Londoner Pall Mall Gazette von 1885 „The Maiden Tribute of Modern Babylon“, in dem das Elend der Mädchen beschrieben wird, löste in England schlussendlich eine schärfere Gesetzgebung gegen Freier und Bordellbesitzer aus und erhöhte das Schutzalter für Frauen. (116)

Als Resultat dieser Kampagnen transformierte sich die Phänomenologie der Prostitution gegen Ende des 19. Jahrhunderts drastisch. Bis dahin nahmen besitzlose und arme (Arbeiter-)Frauen Gelegenheiten zur Prostitution wahr oder beschränkten die Tätigkeit auf ein bestimmtes Zeitfenster innerhalb ihrer Biografie. Neu zeichnete sich eine gesellschaftliche Isolierung der Prostituierten ab, die den ganzen Lebenslauf von der Zugehörigkeit zu einer outcast-Gruppe abhängig machte. Walkowitz argumentiert, dass die Kombination von polizeilichen Regulierungen und die diskursive Verknüpfung von Prostituierten und ansteckenden Geschlechtskrankheiten in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Funktion hatte, eine Gruppe zu isolieren. Diese outcast-Gruppe reflektierte die wachsende Teilung zwischen respektablen und unrespektablen Armen und diente als soziale Projektionsfigur der Durchsetzung moralischer „bürgerlicher“ Werte auf der Grundlage von „gut“ und „böse“. Durch die polizeiliche Regulierung zusammen mit den medizinischen Kontrollen waren die Prostituierten gezwungen, ihren Status als „öffentliche“ und „gefallene“ Frauen zu akzeptieren, indem ihre geographische und soziale Ausgrenzung öffentlich zur Debatte stand. Dieser Definitionsmacht der Bürgerinnen und Bürger hatten die „gefallenen Frauen“ wenig entgegenzusetzen, denn die Zerstörung ihrer privaten Identität durch die Verbannung in den sozialen Käfig der outcast-Gruppe schloss sie gleichzeitig von der Zugehörigkeit zu der politisch aktiven Arbeiterklasse und ihrer Solidarität aus.

In vielerlei Hinsicht markiert das 19. Jahrhundert einen Höhe- und Wendepunkt in der Entwicklung der Prostitution. Es war eine Periode, in der die Anzahl der Prostituierten, die Thematisierung der Prostitution und die Interventionen „bürgerlich“ legitimierter Autoritäten kulminierten – ein Muster dafür, wie die neue Hegemonialstruktur in Form des bürgerlichen Staates über die Entwicklung von Sozialtechniken ihre Macht zur „Lösung“ von sozialen Problemen ausbauen und etablieren konnte. Die termini technici der Debatten und Interventionen des 19. Jahrhunderts prägen bis heute die Wahrnehmung, Regulierung und den Rahmen der Debatte um Prostitution. Deshalb bleiben wir – was die Prostitution betrifft- um mit Foucault zu sprechen, die anderen Viktorianer.

3.2 Frauenhandel in der politischen Agenda

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts kam das Thema Frauenhandel und Prostitution erneut zur Sprache. Im deutschsprachigen Raum der 80er Jahre nahmen vor allem frauenbewegte universitäre Kreise und das entwicklungspolitisch engagierte Umfeld der Kirchen das gesellschaftliche Problem wahr. Ausgangspunkt bildete zuerst die Auseinandersetzung mit dem neuen Phänomen des Sextourismus, Heiratsmigration und später die Migration von Frauen in Prostitution und andere illegale oder informelle Beschäftigungsverhältnisse. Es entstanden Frauenprojekte mit dem Ziel, Maßnahmen voranzutreiben, die präventiv wirken und die Situation der Frauen verbessern sollten. Im Bereich Frauenhandel strebte man strafrechtlich wirksame Interventionen an. Die Projekte vernetzten sich national und international, es wurden Berichte publiziert oder von Regierungskommissionen und internationalen Organisationen in Auftrag gegeben. (117)

Denn mittlerweile hatte sich die Richtung des Frauenhandels umgekehrt: Nicht mehr weiße Frauen aus Europa werden nach Süd-, Nord- und Mittelamerika, in den mittleren Osten, nach Asien und Südafrika verschifft, sondern es reisen Frauen aus den armen Ländern Asiens, Lateinamerikas, Afrikas und seit der Wende aus Osteuropa in die reichen Länder Westeuropas, Arabiens, nach Israel, Japan, Australien und in die USA.

Der Umfang des Phänomens ist unbekannt und allfällige Richtgrößen beruhen auf Schätzungen. Da das Prostituiertenmilieu und Angaben über Prostitutionskunden statistisch kaum erfasst sind, sind die Schätzungen unsicher. Immerhin sind sich Experten einig, dass beispielsweise in Albanien, das als Transit- und Herkunftsland vieler von Frauenhandel betroffenen Frauen gilt, der Anteil der Frauen, die verschleppt, entführt oder durch andere Gewalt in die Prostitution gezwungen und unfreiwillig oder gewaltsam in diesem Metier festgehalten werden, 10-15% aller Prostitutionsmigrantinnen ausmacht. Auf ähnliche Ergebnisse kommen Experten aus der Ukraine. (118)

Nach Schätzungen der EU arbeiten jährlich eine halbe Million Migrantinnen gegen ihren Willen in der Prostitution. Nach einer Daphne-Umfrage in Deutschland, Frankreich und Luxemburg stammen zwischen 62% und 82% der Migrantinnen im Sexgewerbe mittlerweile aus Osteuropa. (119) In der Schweiz kommt das Bundesamt für Polizei aufgrund einer Umfrage bei kantonalen Polizeikommandos und eigenen Hochrechnungen auf eine geschätzte Zahl von 14’000 Prostituierten. Darin sind sowohl offiziell registrierte wie auch ein geschätzter Teil illegal arbeitender Prostituierter enthalten. Die steigende Anzahl Prostituierter lässt sich zum größten Teil mit dem wachsenden Anteil illegaler Prostitution erklären, während der Anteil legaler Prostitution sinkt. Bei den Prostituierten mit Arbeitsbewilligung macht der Drogenstrich einheimischer Frauen einen steigenden Anteil aus. (120)

Folgende Faktoren spielen bei der Wiederaufnahme des Themas Frauenhandel und Prostitutionsmigration in die internationale politische Agenda eine Rolle: (121)

1. Das Erstarken der Neuen Frauenbewegung der 70er und 80er Jahre, ausgehend von Westeuropa und Nordamerika, die die Gewalt gegen Frauen und Ausbeutung weltweit sowohl im öffentlichen wie auch im privaten Bereich zum Thema machte.

2. Das Aufkommen des exotischen Massen- und Sextourismus, wodurch das Thema des Missbrauchs von Frauen der dritten Welt durch weiße Männer (und Frauen) der ersten Welt von Sozialwissenschaftlerinnen, Politikerinnen, Sozialarbeiterinnen, Ärztinnen, Juristinnen, kirchlichen Kreisen und Hilfswerken eingebracht wurde.

3. Die Sorge des reichen Westens angesichts des Ansteigens der Migration aus den Armutsländern.

4. Das Aufkommen der üblicherweise geschlechtlich übertragenen Immunschwächekrankheit Aids und dem damit verbundenen Bedürfnis der westlichen Staaten, die wachsende Zahl ausländischer Prostituierter zum Schutz der eigenen Bevölkerung zu kontrollieren.

5. Die Öffnung der osteuropäischen Länder nach der Wende und dem damit verbundenen drastischen Anstieg von Handel mit Frauen.

Eines der grundsätzlichen Probleme im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Frauenhandel liegt darin, dass eine Länder übergreifende, operational sowie theore­ tisch fundierte Definition von Frauenhandel fehlt, obwohl die Bestrebungen, den Frauenhandel zu bekämpfen, zahlreich sind. Davon zeugt eine Fülle von Resolutio­ nen, Konventionen, Übereinkommen, Empfehlungen und Programmen, die seit den 90er Jahren von verschiedenen internationalen Organen und Organisationen formu­ liert wurden, ohne dass sich jedoch die mit Frauenhandel assoziierten Phänomene verringern oder eindämmen ließen.

Anmerkungen

75 Deleuze, Gilles (1980): Sacher-Masoch und der Masochismus. Nachwort in: Sacher-Masoch, von, Leopold: Venus im Pelz.

76 Kant sagt, dass das Neue seines Vorgehens darin bestehe, das Gesetz nicht mehr vom Guten abhängig sein zu lassen, sondern im Gegenteil, das Gute vom Gesetz, zit. nach Deleuze (1980), S. 232.

77 Sacher-Masoch (1980), S. 139-141. Der Vertrag verstanden als Schutz und Abwehr gegen die stets gegebene Gefahr der Wiederkehr des aggressiven, strafenden Vaters.

78 Dilcher, Gerhard (1997): Die Ordnung der Ungleichheit. Haus, Stand und Geschlecht, in: Gerhard, Ute (Hg.): Frauen in der Geschichte des Rechts, S. 56 ff. Zur langsamen Konstituti­ onalisierung des Familienrechts in Deutschland, d.h. die Anpassung an den Bezug auf das Individuum und das Gleichheitspostulat vgl. Simitis, Spiros (1994): Familienrecht, in: Simon, Dieter (Hg.): Rechtswissenschaft in der Bonner Republik.

79 Vanja, Christina und Wunder, Heide (Hg.) (1991): Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit.

80 Bourdieu, Pierre (1979): Entwurf einer Theorie der Praxis.

81 Prokop, Ulrike (1991): Die Illusion vom Großen Paar. Band 1: Weibliche Lebensentwürfe im deutschen Bildungsbürgertum 1750-1770.

82 Erdheim, Maria (1994): Psychoanalyse und Unbewusstheit in der Kultur.

83 Hoffmann-Novotny, H.J. (1996): Soziologische Aspekte der Multikulturalität, in: Bade, K. (Hg.): Migration, Ethnizität, Konflikt, S. 103-126.

84 Tobler, Verena (2001): Zweierlei Kernkultur im Einwanderungsland.

85 Brandt, Gisela et al. (1975): Zur Frauenfrage im Kapitalismus.

86 Marx, K. und Engels, F. (1965): Manifest der kommunistischen Partei.

87 Marx, K.: Das Kapital, Bd. 1, MEW Bd. 23, S. 417.

88 Das Phänomen Kinderarbeit ist heute in vielen Ländern aktuell: Als billige Arbeiter in Produktionsstätten, wo sie zusammen mit ihren Müttern „zusätzliches“ Geld verdienen, wo sie von Eltern aus Armut verkauft werden, als Zwangsarbeiter für kriminelle Netzwerke tätig sind, Mädchen als Hausangestellte oder Zwangsprostituierte verdingt werden. Vgl. etwa Unicef (Juni, 2003): Kinderarbeit in Osteuropa; Terre des hommes (2000): Hausmädchen in Tanzania, Projekt Kiwohede (Kiota Women’s Health and Development Organisation).

89 Thönnissen, Werner (1969): Frauenemanzipation, zit. nach Brandt et al. (1975), S. 32.

90 Meyer-Renschhausen, Elisabeth (1997): Zur Rechtsgeschichte der Prostitution.

91 Dazu Gerhard, Ute (1997): Grenzziehungen und Überschreitungen. Die Rechte der Frauen auf dem Weg in die politische Öffentlichkeit; Bader-Zaar, Brigitta (1997): Bürgerrechte und Geschlecht. Zur Frage der politischen Gleichberechtigung von Frauen in Österreich, 1848- 1918; Gerber Jenni, Regula (1997): Rechtshistorische Aspekte des bemischen Emanzipationsgesetzes von 1847; Ryter, Annamarie (1997): Die Geschlechtsvormundschaft in der Schweiz: Das Beispiel der Kantone Basel-Landschaft und Basel-Stadt, alle in: Gerhard, Ute (Hg): Frauen ….

92 Bebel, August (1964): Die Frau und der Sozialismus.

93 Engels, Friedrich (1969): Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, MEWBd. 21.

94 Zetkin, Clara (1957): Ausgewählte Reden. Bd. 1.

95 Studer, Brigitte (2001): Neue Grenzziehungen zwischen Frauenarbeit und Männerarbeit in den Dreißiger Jahren und während des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz.

96 Wecker, Regina; Studer, Brigitte; Sutter, Gaby (2001): Die schutzbedürftige Frau.

97 Gilbert, Anne-Francoise (2001): Kampf um die Welt – Sorge um sich selbst.

98 Zahn-Hamack, Agnes (1928): Die Frauenbewegung, zit. nach Brandt, G. et al., S.20.

99 dos Santos Silva, Marinete (1988): Die Prostitution in Rio de Janeiro im 19. Jahrhundert, S. 293ff.

100 Die zeitgenössische Literatur dazu ist umfangreich. z.B. Tacussel, F. (1877): La traite des blanches.

101 Ein Ausdruck, der den Sklavenhandel des 17. und 18. Jahrhunderts aus afrikanischen Ländern vor allem nach Nord- und Lateinamerika assoziiert und die Parallelität der zeitgenössischen Vorgänge, die weiße Frauen betrafen, die im Sexgeschäft eine existenzsichemde Tätigkeit sahen, moralisch unterstreichen wollten. Allerdings wird mit diesem Begriff der Umstand verdeckt, dass auch viele verarmte Bauern und Kleingewerbler beiderlei Geschlechts, die im Zuge der Industrialisierung und der europaweiten Landflucht keinen Platz in den Fabriken gefunden hatten, ebenso an reiche Landeigentümer „verkauft“ wurden. Dazu etwa die auf zeitgenössischen Dokumenten beruhende Arbeit von Evel ine Hasler (1985): Ibicaba.

102 dos Santos Silva, 1988.

103 Die Federation Abolitioniste Internationale setzte sich dafür ein, jede Reglementierung der Prostitution aufzuheben.

104 Hull, Isabel (1997): Sexualstrafrecht und geschlechtspezifische Normen in den deutschen Staaten des 17. und 18. Jahrhunderts.

105 Feuerbach, Anselm: Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern 1813, zit. nach Dilcher (1997).

106 Corbin, A. (1987): Commercial Sexuality in nineteenth century France.

107 Parent-Duchâtelet, A. (1981): La Prostitution a Paris au XIXe siècle, zit. nach dos Santos

(1988): Die Prostitution …, S. 300.

108 Lombroso, Cesare und Ferrero, Guglielmo (1893): Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte, zit. nach dos Santos (1988): Die Prostitution … S. 300.

109 Dazu etwa Kleiber, Dieter und Velten, Doris (1994): Prostitutionskunden. Eine Untersuchung über soziale und psychologische Charakteristika von Besuchern weiblicher Prostituierter in Zeiten von AIDS; Ahlemeyer, Heinrich W. (1996): Prostitutive Intimkommunikation; Leopold, Beate und Steffan, Elfriede (1997): Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprogramms „Streetwork zur AIDS-Prävention im grenzüberschreitenden Raum Bundesrepublik Deutschland-Polen und Bundesrepublik Deutschland-Tschechien“; Kohler, Franz (1997): Freier und HIV-Risiko: Eine Literaturanalyse über ungeschützte Sexualkontakte zwischen Sexkonsumenten und Prostituierten in der Schweiz, Zürich: Aids-Hilfe Schweiz; Aids-Hilfe Schweiz (1998): HIV/Aids-Prävention für Frauen im Sexgewerbe, internes Papier.

110 Vgl. das Barfüßerprojekt, ein Schweizer Netzwerk, das sich über Mediatorinnen vor allem für Prostitutionsmigrantinnen engagiert, finanziert und koordiniert von der Aids-Hilfe Schweiz.

111 Roper, Lyndal (1991): ,,Wille“ und „Ehre“: Sexualität, Sprache und Macht in Augsburger Kriminalprozessen.

112 Dazu etwa Meyer-Renschhausen, Elisabeth (1997): Zur Rechtsgeschichte der Prostitution. Die gesellschaftliche Doppelmoral vor Gericht.

113 Engels, Friedrich (1969): Der Ursprung der Familie.

114 Karras, R. (1989): The Regulation of Brothels in Later Medieval England.

115 Corbin, Alain (1987): Commercial Sexuality in 19th century France.

116 Walkowitz, Judith (1977): The Making of an Outcast Group: Prostitutes and Working Women in Nineteenth Century Plymouth and Southampton.

117 KOK (Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozesse.V.) (Hg.) (2001): Frauenhandel(n) in Deutschland; Konrad, Helga, Bundesministerin für Frauenangelegenheiten (Hg.) (1996): Frauenhandel, Wien: Bundeskanzleramt; FIZ, Fraueninformationszentrum, Schweiz (Hg.) (1998): Migration von Frauen aus Mittel- und Osteuropa in die Schweiz, Zürich: FIZ; EU-Aktionsprogramm Daphne zur Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliebe und Frauen; Solwodi e.V. (2003) (Hg): Grenzüberschreitendes Verbrechen – Grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Schutz, Bera­ tung und Betreuung von Gewalt- und Menschenhandelsopfern. Ein Handbuch für die Praxis, Boppard: Solwodi. Diverse Jahresberichte z.B. in Deutschland und andern Ländern: Solwodi e.V., agisra e.V., La Strada; in Osteuropa: z.B. Animus Association Foundation (2000): Trafficking in Warnen. Question and Answers, Sofia; InterSOS (2000): Survey on Violence Against Warnen and Trafficking in Rural Areas. Tirana; weitere Länderberichte von OECD, IOM, Unicef.

118 Persönliche Mitteilungen von Eglantina Gjermeni, Leiterin des Women Center in Tirana; Edlira Haxhiymeri, Head of Department Sociology, Universität Tirana; Repräsentantin von Frauenfragen der IOM Mission in Albania; Frank Ledwidge, OSCE Presence in Albania; Lamara von Albertini, Juristin, ehern. IOM Repräsentantin in der Ukraine.

119 Solwodi (2003) und Jahresbericht 2000.

120 Persönliche Mitteilung von J. Probst, Abteilung „Sitte“ der Stadtpolizei Zürich.

121 Vgl. Referat der österreichischen NRO-Vertreterin Christina Boidi, LEFÖ, Österreich, gehalten am 24. September 1999 in Zürich anlässlich der FIZ-Tagung zu Frauenhandel, Fraueninformationszentrum für Frauen aus Afrika, Asien und Lateinamerika, Zürich.